Aktiv werden im Gemeinwesen
Rechtsextremismus betrifft nicht nur Einzelpersonen, sondern das gesamte Gemeinwesen.
Rechtsextremismus betrifft nicht nur Einzelpersonen, sondern das gesamte Gemeinwesen.
Die politischen Entscheidungsträger*innen von Gemeinden stehen vor der Herausforderung, Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit zu leisten, sobald dies notwendig wird.
Die vorgängige Klärung von gemeinsamen Wertvorstellungen und Ansichten, weshalb menschenfeindliche Ideologien und Gewalt abgelehnt werden sollen, liefert die Basis eines gemeinsamen Arbeitsprozesses.
Wenn Rechtsextremismus in der Schule, in der Jugendarbeit oder in der Gemeinde erkennbar wird, müssen die Verantwortlichen frühzeitig intervenieren. Wegschauen oder zu spätes Handeln kann die Situation verhärten und rechtsextreme Strukturen stärken. Punktuelle Kriseninterventionen alleine zeigen meist nur eine zeitlich begrenzte Wirkung. Deshalb braucht es langfristige und kontinuierliche Massnahmen wie auch Sensibilisierungs-, Aufklärungs- und Präventionsarbeit.
Fachpersonen und Fachstellen unterstützen Gemeinden sowohl bei der genauen Abklärung der Situation und der Analyse des Konflikts wie auch bei der Erarbeitung von Massnahmen. Meist ist der Einbezug verschiedener Agierender wie Behörden, Politik, Schule, Sozial- und Jugendarbeit, Vereine etc. in die Entwicklung einer gemeinsamen Strategie sinnvoll. Bei Interventionen gegen Rechtsextremismus setzen Fachpersonen meist auf eine Kombination mehrerer Arbeitsweisen, um eine breite Abstützung und eine nachhaltige Wirkung zu erzielen.
Da rechtsextreme Gruppierungen oft gemeindeübergreifend agieren und sich die Probleme lokal verschieben können, ist der Einbezug von Nachbargemeinden sinnvoll.
Fallbeispiele
Rechtsextreme Äusserungen in einer Schulklasse
In zwei Klassen (8. Schuljahr) äussern sich einzelne Schüler*innen im Unterricht wiederholt rechtsextremistisch. Während eines Schullagers singen mehrere Schüler*innen Lieder mit rechtsextremen Inhalten, was zu Spannungen zwischen politisch eher links und politisch eher rechts positionierten Jugendlichen führt. Die Klassenlehrerin wird auf den Konflikt aufmerksam. Zusammen mit der Schulsozialarbeiterin wendet sie sich an die Fachstelle gggfon.
Vorgehen (gggfon – Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus):
Die Fachstelle interveniert in den beiden Klassen. Sie macht die für die Gemeinde zuständige Präventionsstelle auf die Situation aufmerksam.Ein Jahr später kommt es in der Schule zu ähnlichen Vorfällen.
Gemeinsam mit der Schulsozialarbeit, der Schulleitung, der Jugendarbeit und der lokalen Präventionsstelle entwickelt die Fachstelle eine Strategie, wie auf verschiedenen Ebenen über die nachfolgenden Monate vorgegangen werden soll:
- Die Präventionsstelle der Gemeinde und gggfon organisieren Weiterbildungs- und Sensibilisierungsveranstaltungen für die Lehrpersonen
- Schule und gggfon organisieren einen Informations- und Sensibilisierungsabend für die Eltern.
- Die Schulleitung schlägt den Eltern von zwei Schüler*innen Einzelgespräche vor. Deren Kinder fielen auf, weil sie rechtsextreme Aussagen und Liedtexte verbreiteten. Die Eltern lehnen den Vorschlag ab. Die Gespräche hätten die Schulsozialarbeit und das gggfon geführt.
- Die Fachstelle berät und begleitet einen Schüler, der unter dem Konflikt stark gelitten hat.
- Engagierte Lehrkräfte gründen mit freiwilligen Schüler*innen zusammen eine Fokusgruppe zum Thema „Rechtsextremismus“.
- Die Fachstelle sammelt im Gemeinwesen (Vereine, Akteure) Hinweise auf den Ursprung der menschenfeindlichen, teils rechtsextremen Textinhalte und Haltungen.
Rechtsextremer Gymnasiast
Ein Gymnasiast befürchtet, dass ein Mitschüler sich der rechtsextremen Szene annähere. Er kontaktiert die Fachstelle FSEG (Fachstelle Extremismus und Gewaltprävention) und berichtet: Der Mitschüler trete in der Klasse als Wortführer auf, auch sei er in einer Jungpartei aktiv und verbreite Verschwörungstheorien, mache antisemitische Witze und setze Mitschüler*innen unter Druck.
Vorgehen: Die Fachstelle (FSEG) orientiert den Gymnasiasten über die Grenzen der Meinungsäusserungsfreiheit und die Voraussetzungen der illegalen Nötigung. Die Fachstelle empfiehlt ihm, bei einer Lehrperson seines Vertrauens vorzusprechen, um die Themen Dominanz und Gruppendruck auf Klassenebene anzusprechen.
Rechtsextremismusprävention im Kampfsportverein
Der Betreiber eines Kampfsportzentrums meldet seine Sorge, dass er möglicherweise Personen aus der Rechtsextremismus- und Hooligan-Szene Kampfsporttechniken vermittle. Den Trainingsleitenden ist es wichtig, dass sie nur Personen in Kampfsportarten ausbilden, die richtig mit den gelernten Techniken umgehen können und sich von Gewalt und Rechtsextremismus distanzieren.
Vorgehen der Fachstelle (FSEG): Beratung und Austauschgespräch zur Vereinbarung einer möglichen Zusammenarbeit. Die Fachstelle bringt die Problemstellung von Kampfsportclubs zudem in die örtliche Kerngruppe Extremismus und Gewaltprävention ein, damit diese auch breiter angegangen werden kann.
Ein Jugendlicher sympathisiert mit der rechtsextremen Szene
Eine Jugendarbeiterin befürchtet, dass ein Jugendlicher durch seine Lehrstelle Zugang zur rechtsextremen Szene fand. Seit er die Lehrstelle angetreten habe, vertrete er in Gesprächen sowie in den Sozialen Medien fremdenfeindliche und gewaltaffine Haltungen. Zudem höre er Musik mit rechtsextremen Inhalten und identifiziere sich – zumindest teilweise – mit der rechtsextremen Szene. Sie befürchtet, dass der Jugendliche noch tiefer in die rechtsextreme Szene rutschen könnte, wobei er in seiner Haltung noch nicht gefestigt wirke und gesprächsbereit sei.
Vorgehen der Beratungsstelle (gggfon): Die Fachstelle berät sich mit der Jugendarbeiterin, wie diese das Gespräch mit dem Jugendlichen suchen kann. Es zeigt sich: Da die Haltung des Jugendlichen auch in seinem familiären Umfeld aufgefallen ist, ist die Schulsozialarbeit bereits informiert.
Die Beratung der Jugendarbeiterin (Coaching) und des familiären Umfelds (Einzelberatung) hat zum Ziel, allen Involvierten aufzuzeigen, wie sie sich in der Situation verhalten können. Im Gespräch mit den beteiligten Personen und dem Jugendlichen gilt es einem Beziehungsabbruch entgegenzuwirken und dem Jugendlichen alternative Denkweisen aufzuzeigen.
Rechtsextreme Tendenzen in einer Gemeinde sind schwierig einzuschätzen
Eine Gemeinde war in der Vergangenheit von rechtsextremen Vorfällen betroffen. Seit einigen Jahren hat sich die Lage beruhigt, doch dann gehen aus der Bevölkerung mehrere anonyme Meldungen zu problematischen Situationen ein.
Die Gemeinde beauftragt die Fachstelle (gggfon) mit einem Monitoring zur Einschätzung der aktuellen Situation.
Vorgehen (gggfon): Die Fachstelle dokumentiert sämtliche Auffälligkeiten, die einen Zusammenhang mit Rechtsextremismus haben könnten. Der Bericht bietet die Basis für eine Situationsklärung und Dokumentation rassistischer und rechtsextremistischer Vorkommnisse für eine weiterführende Zusammenarbeit mit der Gemeinde.
Krisenintervention - Handlungsansätze für Gemeinwesen und Institutionen
Treten in einer Gemeinde rechtsextreme Tendenzen, Gruppen oder Taten in einer Gemeinde öffentlich in Erscheinung, müssen die Verantwortlichen umgehend die Situation abklären und dann reagieren, ohne die Betroffenen gleich zu verurteilen. Ihnen stehen viele Handlungsansätze offen.
Sensibilisierung für Rechtextremismus
Handlungsfähig gegen Rechtsextremismus ist nur, wer ihn erkennt und über aktuelles und historisches Fachwissen verfügt. Schulen und Institutionen der Erwachsenenbildung können Wissen und Haltungen festigen, beispielsweise mit Menschenrechtsbildung, der Vermittlung demokratischer Grundwerte und der Anerkennung der Meinungsvielfalt, sei dies durch Themenwochen oder Kursen zu Zivilcourage.
Thematisierung von Rechtsextremismus
Dilemma 1:
Provokation oder ideologische Überzeugung / Gewaltbereitschaft?
Handelt es sich bei der Handlung um eine Provokation oder handelt die Person aus ideologischer Überzeugung?
Dilemma 2:
Umgang mit Betroffenen und / oder Vorfällen zwischen dramatisieren und verharmlosen
Inwiefern muss bei einem Vorfall reagiert werden? Der Grat zwischen Verharmlosung und Dramatisierung ist oft schmal.
Dilemma 3:
Vermittelnd reagieren, Dialog aufrecht halten oder verwarnen, bestrafen, Druck ausüben, verbieten, ausschliessen, Anzeige erstatten?
Wie soll mit «Täter*innen» umgegangen werden? Reicht es, mit Ihnen zu sprechen und das Geschehene zu thematisieren oder muss der Fall unbedingt gemeldet werden und sofort Druck ausgeübt werden?
Bereichsübergreifende Zusammenarbeit
Um möglichst zielführend und konstruktiv gegen Rechtsextremismus vorgehen zu können, braucht es eine breite Vernetzung. Dazu gehören sowohl Behörden, pädagogisches und soziales Personal, Politiker*innen, Polizei, Vereine und Kirchen als auch Fachleute, welche transparent zusammenarbeiten.
Aktivierung der Zivilbevölkerung
Die Zivilbevölkerung muss aktiv in die Bekämpfung von Rechtextremismus einbezogen werden. Dazu gehören einerseits Sensibilisierungs- und Öffentlichkeitsarbeit, andererseits auch die Information über Fachstellen und das Schaffen eines Problembewusstseins sowie die Vermittlung von Zivilcourage.
Mediale Berichterstattung
Medien berichten vorwiegend über überregionale rechtsextreme Ereignisse, selten über Konflikte mit Rechtsextremen in einzelnen Gemeinden. Medienberichte über lokale rechtsextreme Strukturen lösen in der Regel einen Handlungsdruck für Behörden aus, fördern das Problembewusstsein und führen zu Interventionen. In der Regel achten Medienschaffende darauf, dass ihre Berichterstattung Rechtsextremen keine Plattform bietet.
Massnahmen
Wie vorgehen nach rechtsextremen Tätlichkeiten? Wie bei Bestehen einer rechtsextremen Gruppe in der Gemeinde?
Mögliche Schritte sind:
- Beizug von fachlicher Unterstützung wie geeigneten Fach- und Beratungsstellen
- Deeskalation der Situation, in dem verhindert wird, dass Täter und Opfer aufeinandertreffen
- Kontakt und Gespräche mit den Täter*innen: bei den Gesprächen ist es wichtig, dass eine Vertrauensbasis aufgebaut wird und zugleich Grenzen aufgezeigt werden, da Rechtsextremismus auch zu Strafbeständen führt. Zudem ist auch ein „Hintergrundcheck“ der Täter*innen ratsam, da so festgestellt werden kann, ob das soziale Umfeld zugezogen werden kann oder nicht.
- Mediationen, Coaching, runde Tische, Sensibilisierung, Aufklärung mit den Täter*innen
- Repressive Interventionen wie Hausdurchsuchungen, das Sicherstellen von Waffen usw.
- Sicherheit der betroffenen und gefährdeten Menschengruppen gewährleisten
- Betroffene von rechtsextremer Gewalt zur Strafanzeige oder zur Meldung bei geeigneten Fachstellen motivieren, unterstützen und begleiten
- Beratung und Unterstützung der Opfer und der Betroffenen
Abbildung 1: Vier-Felder-Schema: Interventionskonstellationen und -strategien
(Quelle: Weiterentwicklung des Schemas von Eser Davolio/Drilling/Eckmann 2009 und Gisin 2020)